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Was ist Slow Learning?

Der moderne Mensch lebt im Sog der Beschleunigung. In Ausbildung und Beruf muss er sich immer schneller mit immer mehr Themen befassen. Dynamische und schnelle Lernprozesse liegen daher im Trend. 

Als Antwort auf den vorherrschenden Lernansatz, der auf Standardisierung und Effizienz ausgerichtet ist, ist die Bewegung des Slow Learning entstanden. Slow Learning möchte Lernen als bewussten und reflektierten Prozess verstehen und Kursteilnehmenden Zeit und Raum geben, Inhalte zu vertiefen.  

Maurice Holt, Professor für Bildung an der Universität von Colorado Denver, plädiert in einem Aufsatz für eine langsamere und ganzheitlichere Bildungsphilosophie, die Raum für kreative und reflexive Erfahrungen lässt und den Lernenden ermöglicht, sich umfassend zu entwickeln. Holt zieht Parallelen zur Slow-Food-Bewegung und argumentiert, Bildung solle eine ähnliche Betonung auf Tradition, Vielfalt und moralische Entscheidungen legen. 

In Deutschland haben Jan Schönfeld, Thomas Tillmann und Claas Triebel von den Content-Anbietern Growth Academy und Lernhacks eine Initiative für Slow Learning gestartet. Laut ihrem “Manifest” möchten sie sich für ein reflektiertes Verständnis der technologischen Entwicklungen und ihrer Auswirkungen auf das zukünftige Lernen und die Gesellschaft einsetzen. Slow Learning solle als Ergänzung, nicht als Konkurrenz zu schnellem Lernen verstanden werden. Während schnelles Lernen oberflächliches Wissen vermitteln könne, lege Slow Learning Wert auf den Aufbau umfassender Kompetenzen. Auf diese Weise biete Slow Learning Raum für Reflexion, Vernetzung und persönliche Entwicklung.

Verhältnis zu anderen Lernansätzen

Läßt sich Slow Learning mit anderen Lernansätzen verbinden oder sind die jeweiligen Konzepte zu gegensätzlich?

Microlearning

Im Microlearning werden Lerninhalte in kleine, gut strukturierte Module aufgeteilt und in kurzen, leicht verdaulichen Lerneinheiten präsentiert. Dadurch können sich Lerner schnell und flexibel relevante Fertigkeiten aneignen. 

Slow Learning erscheint zunächst als Gegensatz zu Microlearning. Auf den zweiten Blick ergänzen sies ich jedoch sogar. Microlearning alleine kann kein tiefes und nachhaltiges Lernen gewährleisten, während Slow Learning für sich genommen die Flexibilität und schnelle Anpassungsfähigkeit fehlt, die in vielen Lernsituationen, gerade im Unternehmenskontext, erforderlich ist. 

Agile Learning

Agile Learning orientiert sich an den Prinzipien agilen Projektmanagements. Anstatt “auf Halde” zu lernen, sollen Individuen ihre Lernbedürfnisse in dem Moment befriedigen können, in dem sie auftreten. Agiles Lernen setzt hierfür auf die Just-in-time-Bereitstellung von Wissen. 

Slow Learning und agiles Lernen teilen die Werte von Selbstorganisation und Eigenverantwortung. Allerdings zielt agiles Lernen auf kurze Entwicklungsschritte mit schnellem Feedback ab, während Slow Learning den Lernenden Räume schaffen möchte, um für längere Zeit ungestört und nachdenklich an Fragestellungen zu arbeiten.

Personalisiertes Lernen

Personalisiertes Lernen bezeichnet einen Bildungsansatz, bei dem der Lernprozess individuell auf die Bedürfnisse, Interessen und Lernstile der Zielgruppe zugeschnitten wird, um ein optimales Lernerlebnis und bessere Lernergebnisse zu fördern.

Slow Learning und personalisiertes Lernen verbindet ihr Fokus auf die Lernenden und ihree Bedürfnisse. Allerdings betont personalisiertes Lernen nicht die Langsamkeit. Bei personalisiertem Lernen kommt außerdem Technologie eine größere Rolle zu, beispielsweise in Form adaptiver Lernplattformen und künstlicher Intelligenz, um den Lernern maßgeschneiderte Inhalte zu liefern.

Jan Schönfeld zum Thema Slow Learning

Wie wird Lernerfolg im Slow Learning gemessen?

Vertreter des Slow Learning betrachten standardisierte Leistungsmessung mit Skepsis. Jedoch muss die Bewertung von Leistungen ein Bestandteil von Slow Learning sein, wenn es ernstgenommen werden will – besonders in der Wirtschaft. 

Es gibt nur wenig Literatur zur Frage der Leistungsmessung im Slow Learning. Sicherlich sind qualitative Bewertungsmethoden besser mit Slow Learning vereinbar, als quantitative Messungen. Hier ein paar Vorschläge unserer Redaktion: 

  • Differenzierte verbale Beurteilungen
  • Lernentwicklungsberichte
  • Präsentationen von Seminarergebnissen 
  • Selbstreflexion der Lerner

Diese Daten können mit Fokusgruppen, Interviews und Portfolio-Bewertungen erhoben werden.

Wann eignet sich Slow Learning (nicht)?

Slow Learning betont die Bedeutung eines bewussten und reflektierten Lernprozesses. Es ermutigt die Lernenden, tiefer in ein Thema einzutauchen, Zusammenhänge zu erkennen und nachhaltiges Wissen aufzubauen. Durch eine langsamere Herangehensweise haben die Lernenden die Möglichkeit, Lerninhalte wirklich zu internalisieren und sie in verschiedenen Kontexten anzuwenden. Daher eignet sich Slow Learning besonders für geisteswissenschaftliche oder künstlerische Themen. Auch um Expertise in einem Bereich aufzubauen, muss man über einen langen Zeitraum lernen. 

Schlecht eignet sich Slow Learning in sich schnell wandelnden Lernumgebungen, in denen Kursteilnehmende nicht der Raum zur ausgiebigen Beschäftigung mit einem Thema zugestanden werden kann, weil die Zeit knapp ist und Geschäftsziele erreicht werden müssen. Auch, wenn es sehr auf die Messung des Lernfortschritts ankommt, und Lernende keine Ressourcen oder Motivation zu einer tiefgreifenden Auseinandersetzung mit einem Thema haben, ist Slow Learning der falsche Weg.

Fazit

Slow Learning will Lernen verlangsamen, um ein tiefes Verständnis und eine nachhaltige Aneignung von Kompetenzen zu ermöglichen. Es handelt sich weniger um eine eigenständige Methode, als um ein Mindset oder eine Bildungsphilosophie. 

Slow Learning betont richtigerweise die Bedeutung von Langsamkeit für manche Lernprozesse. Insbesondere facettenreiche Themen, die Reflexion erfordern, beispielsweise Geisteswissenschaften, können besser gelernt werden, wenn man einem Slow-Learning-Ansatz folgt.

Müssen jedoch, wie häufig im Unternehmensalltag, konkrete Probleme durch Bereitstellung von Wissen gelöst werden, empfehlen sich schnellere und agilere Lernansätze.

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